Eine Glühbirne, deren Glühdrähte die Umrisse von Europa zeigen.

juna #1.19 Europa

Mit den Augen von Astronaut Alexander Gerst aus der ISS verschwinden Grenzen. Alles ist eins.

Europa vermessen

Mit den Augen von Astronaut Alexander Gerst aus der ISS, 400 Kilometer über der Erdoberfläche, verschwinden Grenzen: politische, kulturelle, wirtschaftliche, soziale und sprachliche. Alles ist eins, und von oben betrachtet ist ein Gesamtbild aus leuchtenden Einzelheiten erkennbar. Das wiederum passt gut zum Motto der EU: In Vielfalt geeint. Deren Puzzleteile, Länder wie Menschen, suchen Antworten auf drängende Fragen wie Arbeitslosigkeit, Migration und Nationalismus. Themen, die besonders die junge Generation betreffen. Schlaglichtartig stellt die juna das große gesellschaftliche Potenzial von Jugendarbeit für ganz Europa vor und hat dafür Partner_innen gebeten, eine Momentaufnahme ihrer Situation im europäischen Netzwerk zu zeichnen.

Europa und die europäische Politik gewinnen immer mehr an Bedeutung. Der Bayerische Jugendring hält an seinem Gestaltungswillen in und für Europa fest und will sich stärker mit europäischer Politik beschäftigen.

von Lea Sedlmayr

„Europa und die europäische Politik gewinnen immer mehr an Bedeutung. Der Bayerische Jugendring hält an seinem Gestaltungswillen in und für Europa fest und will sich stärker mit europäischer Politik beschäftigen.“

Mit diesen wegweisenden Worten beschloss der BJR vor fünf Jahren, Europa konkret in den Blick zu nehmen und sich europapolitisch zu engagieren. Seit über 70 Jahren ist der BJR mit seinen Jugendverbänden und Stadt-, Kreis- und Bezirksjugendringen die Stimme junger Menschen und der Jugendarbeit in Bayern. Er steht dafür ein, dass junge Menschen gehört werden und die Gesellschaft mitgestalten, in der sie leben. Dazu ist es auch nötig, über die Grenzen Bayerns hinauszuschauen und sich dort einzubringen, wo junge Menschen längst in ihren Lebenswelten angekommen sind: Europa. Die Europäische Union hat in den letzten Dekaden eine enorme Entwicklung durchgemacht und ist auch noch nicht fertig, deshalb sprechen viele vom „Projekt Europa“. Für junge Menschen klingt das manchmal seltsam, kennen sie die Welt doch gar nicht ohne EU. Doch so oder so gilt es, sich für Europa und dessen Weiterentwicklung einzusetzen, auch 2019 im Europawahljahr.

„Wir sind davon überzeugt, dass die Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen in allen Politikbereichen nur durch eine Politik der nachhaltigen Entwicklung und eine Fortsetzung des Integrationsprozesses für ein friedliches und demokratisches Europa zu sichern sein werden.“

So steht es im 2015 beschlossenen Positionspapier „Ein Europa der Zukunft“ des BJR, welches als Leitlinienpapier der europäischen Jugendpolitik bis heute aktuell ist. Hier werden viele Themen angesprochen, die Herzensangelegenheiten der Jugendarbeit sind, wie etwa Umwelt- und Klimapolitik, Flucht und Migration, Arbeit und Bildung, Mobilität und Sozialpolitik. Doch natürlich sind dies nicht die einzigen Themen mit jugendpolitischer und europapolitischer Dimension. Auch Medien, Digitalisierung, Inklusion, Gleichstellung und viele weitere Themen werden stark europäisch diskutiert und politisch entschieden. Doch was heißt das nun für den BJR ganz praktisch? 2016 eröffnete der BJR als erster Jugendring in Brüssel ein Vertretungsbüro und überwand damit die räumliche Entfernung zur europäischen Hauptstadt. Einmal angekommen, kam bisher keine Langeweile auf. Immer mehr Delegationen aus der Jugendarbeit treten den Weg nach Brüssel an, um sich über Europapolitik zu informieren. Die vielen Papiere und Entscheidungen in Brüssel werden auf ihre Auswirkungen für junge Menschen hin geprüft. Um dies zu bewältigen, ist die Kooperation mit anderen Organisationen, Institutionen und Interessensverbänden dringend notwendig. Netzwerke müssen gebaut werden. Bei wichtigen Entscheidungen werden viele Gespräche mit Politiker_innen und Entscheidungsträger_ innen geführt, um die Anliegen junger Menschen und die fachliche jugendpolitische Einschätzung einzubringen. er BJR informiert und spricht über das, was er als große Stärke hier einbringen kann: die Erfahrung von vielen Jugendarbeiter_innen, Jugendleiter_innen und jungen Menschen vor Ort.

„Wir stehen zu einem solidarischen Europa, das Garant für Frieden und Zusammenhalt ist. Gemeinsam setzen wir uns aktiv für den Erhalt und die jugendgerechte Weiterentwicklung der Europäischen Union ein.“

Seit der Satzungsreform des BJR im Jahr 2017 stehen Europa und die EU explizit in der Präambel der Satzung des BJR. Während die jungen Menschen in Europa demographisch immer weniger werden, glauben wir, dass nur eine jugendgerechte EU, die jungen Menschen Perspektiven bietet und sie als Potential und nicht als Problem begreift, zukunftsfähig sein kann. Frieden und Zusammenhalt sind die Ziele, nicht nur eine Floskel. Dazu gehört auch Solidarität und der Dialog mit unseren vielen Nachbarn und Mitweltbewohner_innen. Auch dies ist schon immer Teil der Jugendarbeit im Zeichen der internationalen Jugendarbeit und Jugendbegegnung: sich kennen lernen und Vorbehalte abbauen. Doch wo man sich kennenlernt, gemeinsam wächst und reflektiert, wächst auch der Wunsch, zu gestalten.

„Am Anfang war ich kritisch, ob das hier was bringt, mit den Politikern der EU zu reden. Jetzt bin ich überzeugt, dass wir als Verband unbedingt aktiv werden müssen.“

Dies sind die Worte eines jungen Teilnehmers beim Bayerischen Tag der Jugend in Europa 2017. Sie stehen exemplarisch für die vielen Rückmeldungen, die der BJR zur seit 2016 stattfindenden Veranstaltung in der Bayerischen Vertretung erhält. In Europas Hauptstadt bringt der BJR Stakeholder, Entscheidungsträger_innen und Menschen aus der bayerischen Jugendarbeit miteinander ins Gespräch. Jedes Jahr ist diese Veranstaltung ein großes Projekt, das auch 2019 wieder stattfinden wird (allerdings auf Grund der anstehenden Europawahlen diesmal im November). Jedes Mal wieder eine wichtige Erfahrung für beide Seiten: Die Menschen in Brüssel können nämlich auch zuhören und diskutieren, und ja, junge Menschen haben etwas zu sagen und sind bereit, in den Dialog zu gehen. Zentral steht dabei auch die Erkenntnis, dass nicht nur die Menschen in Brüssel Europa sind, sondern wir alle, egal wo wir wohnen oder wie alt wir sind. Es gibt kein „die da“ und „wir hier“ sondern nur eine Europäische Union, zu der wir gehören. Hier braucht es Brücken, die die EU-Institutionen durch Partizipationsmöglichkeiten schlagen müssen, aber auch jeder einzelne von uns, wenn es darum geht, zur Wahl zu gehen, sich mit den europäischen Herausforderungen auseinanderzusetzen und sich für ein friedliches und demokratisches Europa stark zu machen.

Autorin

Lea Sedlmayr ist Referntin für Europäische Jugendpolitik und baut seit 2015 das Europabüro des BJR in Brüssel auf:
European Office of the Bavarian Youth Council
Rue de Pascale 4-6
B-1040 Brüssel
Tel. +3227256095
sedlmayr.lea(at)bjr.de

Vor 70 Jahren schlossen sich junge Menschen zusammen, um ihren Traum von der Gründung eines europäischen Bundesstaats in die Arena der öffentlichen Auseinandersetzung zu tragen: Es waren die Kinder zweier Weltkriege, die selbst die hässlichen Fratzen von Faschismus und Nationalismus gesehen hatten und mit deren zerstörerischer Hybris und ihrer Logik des Ein- und Ausgrenzens aufräumen wollten.

von Susanna Schmitt 

Vor 70 Jahren schlossen sich junge Menschen zusammen, um ihren Traum von der Gründung eines europäischen Bundesstaats in die Arena der öffentlichen Auseinandersetzung zu tragen: Es waren die Kinder zweier Weltkriege, die selbst die hässlichen Fratzen von Faschismus und Nationalismus gesehen hatten und mit deren zerstörerischer Hybris und ihrer Logik des Ein- und Ausgrenzens aufräumen wollten.

Als Junge Europäische Föderalisten (JEF) und Erben des 1949 gegründeten Bunds Europäischer Jugend (BEJ) engagieren wir uns in 30 Staaten noch immer für dasselbe Ziel. Sicherlich sind dieser Tage die Bedingungen andere, und doch halten wir es nach wie vor für dringend notwendig, sich als Jugend für den Fortbestand eines grenzenlosen Europas einzusetzen. Unsere Generation hat es so gut wie keine je zuvor. Wir kennen nur den Wohlstand, den Frieden und die offenen Grenzen. Aber allzu oft erscheinen diese Privilegien als Selbstverständlichkeit.

Populismus en vogue

Wie zerbrechlich diese Errungenschaften letztlich doch sind, wird spätestens seit einigen Jahren immer deutlicher sichtbar: In ganz Europa werden Stimmen nicht nur lauter, die eine Rückkehr zum Nationalstaat fordern, sondern als rechtskonservative Politiker_innen in zahlreichen Mitgliedstaaten in Regierungsämter gewählt. Von dort aus begreifen diese die Funktion der EU nicht selten allein in der des Sündenbocks für innenpolitische Unzufriedenheiten. Die Konsequenzen werden bereits spürbar. Rechtspopulistische Parteien gewinnen an Zulauf und werden aller Voraussicht nach auch nach den Europawahlen 2019 ihren Anteil unter den Abgeordneten des Europäischen Parlaments ausbauen können, mit dem Ziel, die EU von innen heraus zu zersägen. Sie versprechen die Rückgewinnung von Souveränität und eine Rückkehr in die guten alten, weil weniger komplizierten Zeiten. Eine solche Rückkehr kann es nicht geben und schon gar nicht mit den so oft versprochenen sozialen Standards.

Die Welt von morgen human gestalten

Die EU ist heute nicht nur als Garant des Friedens unsere einzige Zukunft, sondern auch als Mittel zur Durchsetzung sozialer und menschenrechtlicher Grundwerte in einer globalisierten Welt. Ohne sie verlieren die Menschen in den dann zwar souveränen, aber abgeschotteten Staaten nicht nur die Chance, sich über den nationalen Kontext hinweg zu entfalten, sondern auch die Möglichkeit, an einer humanen Gestaltung der Welt von morgen mitzuwirken. Bei aller Unterstützung für das in der EU verwirklichte Projekt der Integration verstehen wir als JEF uns keineswegs als deren kompromisslose Anbeter_innen, sondern vielmehr als Korrektiv, das auf Unzulänglichkeiten des Integrationsprozesses hinweist und Fortschritte zu einem noch tiefer integrierten Staatenverbund, der letztlich zu einem Bundesstaat werden soll, anstößt. Bei allem, was wir tun, sind wir aber letztlich darauf angewiesen, dass wir junge Menschen mit unserer Begeisterung für Europa anstecken. Europa ist unser aller Zukunft und dabei vor allem unsere, die der Jugend. In den nächsten Wochen und Monaten wird nichts so wichtig sein, wie so viele junge Menschen wie nur möglich davon zu überzeugen, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, damit Europa nicht erneut in die rückwärtsgewandte Logik der Ein- und Ausgrenzung zurückfällt. Die Europawahl ist unsere Wahl! 

europamachen.eu 

Susanna Schmitt ist Beisitzerin im Landesvorstand der JEF e.V.

Die EU steht vor großen Fragen: Klimawandel, Zukunft der Demokratie, Migration u.a. Fragen, die sich weder einfach noch alleine beantworten lassen. Die EU muss sich weiteentwickeln und Jugendliche eine zentrale Rolle geben.

von Christian Zoll

Die EU steht vor großen Fragen: Klimawandel, Zukunft der Demokratie, Migration u.a. Fragen, die sich weder einfach noch alleine beantworten lassen. Die EU muss sich weiterentwickeln und Jugendlichen eine zentrale Rolle geben. Österreich hat am 1. Juli 2018 den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernommen. Aus jugendpolitischer Sicht hat die österreichische Bundesjugendvertretung (BJV), die gesetzlich verankerte Interessensvertretung aller drei Mio. Kinder und Jugendlicher in Österreich, versucht, den europäischen Wind bestmöglich zu nutzen.

DIE SCHWERPUNKTE IM JUGENDBEREICH

Jugendpolitisches Highlight war das informelle Treffen der Jugendminister_ innen, das im September parallel zur EU-Jugendkonferenz in Wien stattfand. Aufbauend auf die Jugendkonferenzen der EU in Sofia und Tallin wurden bei dieser Konferenz die EU-Jugendziele und ihre Rolle für die neue EU-Jugendstrategie behandelt. Damit wurde das Fundament für die weitere Zusammenarbeit bis zum Jahr 2027 gelegt. Auch der Rat hat sich an den drei Grundpfeilern aus dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag orientiert: Engage – Jugendbeteiligung, Connect – Jugendbegegnung und Empower – Jugendarbeit. Durch den gesonderten Annex zu den Jugendzielen fand auch die Stimme der Jugendlichen Platz in dem politischen Papier.

JUGEND ALS QUERSCHNITTSMATERIE 

Die BJV versteht Jugendpolitik als Querschnittsmaterie und hat sich daher nicht nur in Kooperationen mit der für Jugend zuständigen Sektion eingebracht. Es stand auch das Thema Jugend und Geschlechtergleichstellung im Fokus. Gemeinsam mit der Frauensektion des Bundeskanzleramts war die Bundesjugendvertretung an der Konferenz „Gender Equality and YOU. Young Voices. Joint Initiative“ sowie an den Schlussfolgerungen des Vorsitzes zum Thema Geschlechtergerechtigkeit, Jugend und Digitalisierung beteiligt.

EU ZU JUGENDLICHEN BRINGEN 

Ein weiteres zentrales Anliegen der BJV war es, die EU-Ratspräsidentschaft nicht nur dafür zu nutzen, die Jugendstimme auf EU-Ebene einzubringen, sondern auch die EU näher zu Jugendlichen zu bringen. Mit der Kampagne „Europa, das sind wir“ wurde versucht, die EU durch Information greifbarer zu machen und Jugendlichen unterschiedliche Mitbestimmungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Als erste Generation, die in der EU aufgewachsen ist, und als die Europäer_innen von heute und morgen sind Kinder und Jugendliche am längsten von Entscheidungen betroffen, die heute gefällt werden. Daher muss deren Meinung schon jetzt berücksichtigt werden!

Christian Zoll ist Vorsitzender der örsterreichischen Bundesjugendvertretung.
Mit dem Nachbarn besteht eine langjährige Zusammenarbeit in der Jugendarbeit,
die während der österreichischen Ratspräsidentschaft 2018 weiter ausgebaut wurde.

In der digitalen ugendarbeit in Finnland gibt es eine lange Tradition innovativer Praktiken, z.B. die Nutzung von Online-Tools, um sozial gefährderte Jugendliche zu erreichen und alltägliche Aktivitäten durch die Nutzung von Social Media zu verbessern.

von Juha Kiviniemi

In der digitalen Jugendarbeit in Finnland gibt es eine lange Tradition innovativer Praktiken, z. B. die Nutzung von Online-Tools, um sozial gefährdete Jugendliche zu erreichen und alltägliche Aktivitäten durch die Nutzung von Social Media zu verbessern. Das überarbeitete finnische Jugendarbeits-Gesetz von 2017 hat die Bedeutung digitaler Konzepte im Jugendbereich verankert. Verke ist das nationale finnische Kompetenzzentrum für digitale Jugendarbeit. Ziel der Organisation ist es, das Wohl, die Inklusion und die Gleichstellung der Jugendlichen zu fördern, sowie allen, die mit jungen Menschen arbeiten, die Möglichkeit zu geben, digitale Medien und Technik als Teil ihrer Arbeit zu nutzen. 

In einer Studie ermittelt das Kompetenzzentrum alle zwei Jahre die aktuellen digitalen Nutzungsarten. Die letzte Umfrage von 2017 ergab Steigerungen in der Nutzung von Dienstleistungen und der Verfügbarkeit von Geräten sowie eine positive Einstellung gegenüber digitaler Jugendarbeit. Dennoch war für mehrere Befragte deren Definition unklar.

Die daraus resultierenden zentralen Herausforderungen für Finnland sind klar: Auch wenn viele Organisationen digitale Jugendarbeit bereits in ihre Strategien integriert haben, sind die Ziele für digitale Konzepte oft noch unklar. Dies ist ein Grund, weshalb Verke einen doppelten Ansatz durch die Schulung von Jugendarbeiter_innen und die Zusammenarbeit mit Organisationen bei der Entwicklung und Umsetzung von Strategien gewählt hat. Derzeit konzentriert sich Verke auf Innovationen und erweitert die eingesetzten Methoden z. B. durch die Umsetzung von Maker-Aktivitäten. Zudem untermauern internationale Projekte die Maßnahmenentwicklung. 

Juha Kiviniemi ist Planungsreferent bei Verke. Gemeinsam mit der finnischen Organisation Allianssi Youth Exchanges ist Verke neuer BJR-Partner, der sich dem Thema Digitalisierung widmet.

Trotz aller seit dem Jahrtausendbeginn unternommenen Bemühungen um eine gemeinsame europäische Erinnerung an die Shoa sind die Unterschiede in den nationalen Erinnerungskulturen der verschiedenen Länder nicht geringer geworden.

von Aletta Beck

Trotz aller seit dem Jahrtausendbeginn unternommenen Bemühungen um eine gemeinsame europäische Erinnerung an die Shoa sind die Unterschiede in den nationalen Erinnerungskulturen der verschiedenen Länder nicht geringer geworden. Dass die Einführung eines gemeinsamen Gedenktages im Top-down-Prinzip in möglichst vielen Ländern aus einem gemeinsamen Datum eine gemeinsame Deutung machen könnte, ist auch nicht zu erwarten: Jede Erinnerungskultur ist immer Ergebnis und zugleich Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzung mit einer spezifischen Vergangenheit. Diese Auseinandersetzungen spielen sich zumeist im nationalen Rahmen ab, innerhalb dessen Erinnerungskulturen immer auch eine identitätsstiftende Funktion in Bezug auf die Nation erfüllen und damit mehr zur Abgrenzung als zu einer Annäherung über Ländergrenzen hinweg beitragen. Um diesem Nebeneinander der Erinnerungen, das im Zweifelsfall schnell in ein Gegeneinander umschlagen kann, zu entgehen, muss die Auseinandersetzung um die gemeinsame Geschichte und die Erinnerung daran den nationalen Kontext überschreiten und gleichzeitig für Einzelne konkret erfahrbar werden. Dies kann notwendigerweise nur in kleinen Schritten geschehen. Jede einzelne Begegnung zwischen (jungen) Menschen aus verschiedenen Ländern, die eine gemeinsame Auseinandersetzung mit den verschiedenen Perspektiven auf die Geschichte ermöglicht, kann ein solcher Schritt sein.

 Aletta Beck ist Historikerin beim tschechischen Institut Theresienstädter Initiative, ein Partner des Museums der Roma-Kultur in Brno, mit dem der BJR seit 2017 kooperiert.

Trotz der unvermeidlichen Auswirkungen, die der Brexit auf junge Menschen in der Republik Irland und in Nordirland haben wird, sind junge Menschen in den Debatten allzu oft nicht berücksichtigt worden.

von Aidan Farrelly

Irland und in Nordirland haben wird, sind junge Menschen in den Debatten allzu oft nicht berücksichtigt worden. Deshalb haben Jugendorganisationen beider Länder miteinander diskutiert, Erfahrungen ausgetauscht und verdeutlicht, was sie wissen, denken und wollen. Der Austausch hat gezeigt, dass die Anliegen und Sorgen verschiedener Generationen in Einklang miteinander stehen. In Zeiten, die von großer Unübersichtlichkeit und vielen Befürchtungen geprägt sind, müssen die Menschen in Irland, gleich ob Nordirland oder Südirland, gehört werden. Wir danken dem Special EU Programmes Body (SEUPB) für die Unterstützung unserer Arbeit mit jungen Menschen sowie unseren Partnern Northern Ireland Youth Forum (NIYF), YouthAction Northern Ireland, Youth Work Ireland Louth, Young Farmers’ Clubs of Ulster, Fóram na nÓg, Cooperation Ireland und Foróige.

Was wir wissen:

„Die Politiker_innen haben uns belogen!“

„Es ist alles sehr unübersichtlich, und ich weiß einfach nicht mehr, wem ich trauen soll: Es ist wie eine Wahl zwischen zwei Übeln. Ich habe einfach das Gefühl, dass meine Generation dies ausbaden muss.“

„Wir haben Anspruch auf weitere Fördermittel von der EU, um Frieden und Stabilität in Nordirland sicherzustellen; die Grenze ist ein schwer lösbares Problem; es wird schwieriger werden, einen irischen Pass zu bekommen.“

Was wir denken:

„Die Regierung interessiert sich nicht für die Rechte junger Menschen.“

„Wir denken, dass es wieder Unruhen geben wird.“

„Wir sorgen uns um die wirtschaftliche Zukunft.“

„Wir brauchen eine zweite Abstimmung.“

„Es wird Krieg geben!“

Was wir wollen:

„Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung.“

„Ich will ein vereinigtes Irland.“

„Wir wollen den Brexit in der ursprünglich vorgeschlagenen Form. Wir wollen, dass die Grenzen durch Technologie gesichert werden. Wir wollen offene Grenzen zu Irland.“

„Wir wollen eine Regierung mit Politiker_innen, denen wir trauen können. Jobs für junge Menschen. Frieden ohne all den Schwachsinn.“

Aidan Farrelly ist Jugend-Teamleiter in St. Kildare Town in Irland. Als Experte zum Thema "Arbeit mit jungen Geflüchteten" ar er 2017 internationaler Gast beim BJR-Fachtag "New Perspectives"

Armenien gilt als demokratisch. Mit der friedvollen „samtenen“ Revolution im April 2018 hat ein über 20 Jahre andauernder Prozess aus demokratischen Errungenschaften, durch Korruption und Menschenrechtsverletzungen hervorgerufenen Rückschlägen und erneuten Protestbewegungen eines willensstarken Volkes einen erneuten Höhepunkt erreicht. 

von Juliane Niklas und Katrin Stockheim

Armenien gilt als demokratisch. Mit der friedvollen „samtenen“ Revolution im April 2018 hat ein über 20 Jahre andauernder Prozess aus demokratischen Errungenschaften, durch Korruption und Menschenrechtsverletzungen hervorgerufenen Rückschlägen und erneuten Protestbewegungen eines willensstarken Volkes einen erneuten Höhepunkt erreicht. Die Entstehung einer demokratisch-freien Wirtschaft-, Kultur- und Sozialpolitik ist spürbar. Trotz des Fortschritts haben sich in den vergangenen Monaten oppositionelle rechte Gruppen zunehmend radikalisiert.

Unter dem Motto „Take heart, I have overcome the world!“ plante New Generation NGO gemeinsam mit LGBT Christians of Eastern Europe and Central Asia (EECA) im November 2018 eine Konferenz für queere Christ_innen aus Osteuropa und Zentralasien in der armenischen Hauptstadt. Das Forum findet seit 2004 jährlich in verschiedenen früheren kommunistischen Ländern statt. Tagungsort und Agenda sind aus Sicherheitsgründen nur den Teilnehmenden bekannt. Aus Angst vor rechten Übergriffen wurde die Konferenz jedoch kurzfristig abgesagt. Eine Welle homophober Angriffe, Morddrohungen und Gewalt machte diese Entscheidung notwendig. Vom Staat wurde Hilfe zum Schutz der Teilnehmenden nicht in Aussicht gestellt.

Trotz und gerade wegen dieser Konstellation aus motivierter Aufbruchstimmung und rechtspopulistischer Stimmungsmache ließ sich eine BJR-Delegation bei ihrem Besuch in Armenien im Juli 2018 vom beiderseitigen Nutzen einer Kooperation überzeugen und wurde in ihrer Absicht gestärkt, Armenien zu einem Schwerpunktland in der Zusammenarbeit mit Mittel- und Osteuropa sowie den postsowjetischen Ländern zu machen. 

Acht Vereine, fünf davon zur Jugendförderung, und selbst ein kleines Amphitheater findet man in Krioneri im Südwesten Griechenlands, einem Ort, der nicht einmal 1.000 Einwohner zählt.

von Stephan Rinke-Mokay

Acht Vereine, fünf davon zur Jugendförderung, und selbst ein kleines Amphitheater findet man in Krioneri im Südwesten Griechenlands, einem Ort, der nicht einmal 1.000 Einwohner zählt. „Hier leben fast alle von der Landwirtschaft. Anfangs war es schwer, die Menschen von neuen Strukturen und Ideen zu überzeugen“, erklärt Panos Poulos, 57-jähriger griechischer Jugendarbeiter und schon immer ein Kämpfer. Erst seit Kurzem gibt es im Land Jugendherbergen und einen entsprechenden Verein. Auch der Verband der Jugendarbeiter_innen wurde erst vor einem Jahr gegründet. Organisierte Jugend- und Sozialarbeit gibt es in Griechenland bisher nicht. Seit 15 Jahren hat der griechische Staat keinen Euro mehr in diesen Bereich investiert. Alle Angebote gehen auf ehrenamtliches Engagement oder NGOs, die wiederum durch Mittel der EU finanziert werden, zurück.

„Seit dem Krisenbeginn wurden bei uns alle sozialen Strukturen zerstört“, hadert Panos. „Auf der einen Seite wurden Löhne und Renten um bis zu 50 Prozent gekürzt, auf der anderen Seite stiegen die Steuern und die Preise.“ Über 300.000 Firmen wurden in den letzten Jahren geschlossen. 35 Prozent aller Griechen sind von Armut bedroht. Zwei von drei Jugendlichen sind arbeitslos, da selbst die, die nicht in der Statistik auftauchen, endlos studieren oder Jobs ausüben, für die sie völlig überqualifiziert sind, nur um über die Runden zu kommen.

Statt zu resignieren, nehmen viele Griech_innen ihr Schicksal aber selbst in die Hand und zeigen beeindruckendes Engagement. Menschen wie Marilena, die zusammen mit ihrem Bruder und zwei Freunden sechs Monate lang durch verschiedene afrikanische Länder reiste und soziale Projekte initiierte. Oder wie Sotiris, der sich mit der Artfarm einen Kindheitstraum erfüllte, eine Baumhaussiedlung baute und dort nun junge Menschen in Kontakt mit der Natur und Kunst bringen möchte. Menschen wie Filaretos, Vorsitzender des neuen Griechischen Nationalen Jugendarbeiterverbands, der in Kalamata zusammen mit Freund_innen ein breites Beschäftigungsangebot aus dem Boden stampfte, das heute durch 50 ehrenamtliche Kursleiter_innen umgesetzt wird und jährlich 800 Menschen erreicht. Und natürlich Menschen wie Panos, der seit Jahrzehnten für eine bessere Jugendarbeit in Griechenland kämpft. •

Stephan Rinke-Mokay ist Sozialarbeiter aus Würzburg. Im Rahmen des Projekts Fachkräfteaustausch hielt er seine Erlebnisse der grichischen Bildungsfahrt im Sommer 2018 fest und veröffentliche diese im "Flüchtling Magazin". Die Vollversion der hier abgeduckten Kurzfassung kann unter https://www.fluechtling-magazin.de/2018/12/22/nach-der-troika-vor-der-katastrophe-griechenlands-verlorene-generation/ abgerufen werden.

Mit dem Projekt UAM betreut die Sozialgenossenschaft Dedalus seit 15 Jahren alleinreisende ausländische Minderjährige in Neapel.

von Glauco Iermano

Mit dem Projekt UAM betreut die Sozialgenossenschaft Dedalus seit 15 Jahren alleinreisende ausländische Minderjährige in Neapel. Im Laufe der Jahre wurden zahlreiche Bildungs-, Schulungs-, Orientierungs- und Unterstützungsdienste angeboten, die alle von Expert_ innen für Zuwanderung und Kulturvermittlung unterstützt werden. Für ausländische Minderjährige verwirklicht Dedalus Aktivitäten, die von der Annäherungsarbeit der Kulturvermittler_innen über das Angebot verschiedener Räume der Gastfreundschaft bis hin zur Orientierung bei Ausbildungswegen, Arbeitsprofilen und Unterstützung bei der Arbeitsvermittlung reichen.

Einen Arbeitsschwerpunkt bildet der interkulturelle Tagungsraum Nanà. Das Zentrum bietet Kindern und Jugendlichen leicht zugängliche und einladende Räumlichkeiten zur Information und Orientierung, zum Schutz sowie für Bildungs- und Trainingsaktivitäten. Hier erwartet niemand etwas als Gegenleistung. Die jungen Menschen können sich einfach treffen, um sich zu unterhalten, heißen Tee zu trinken, sich mit Peer Groups auszutauschen, und auf das Recht zurückgreifen, das alle Teenager haben sollten: Zeit miteinander zu verbringen. Hier entwickeln sich die Beziehungen und das Vertrauen zu den Betreiber_innen und vor allem zu den sprachlichen Kulturvermittler_ innen. Das sind grundlegende Voraussetzungen, um die verschiedenen Angebote und die unterschiedlichen Arten der Emanzipation und Autonomie zu aktivieren.

Glauco Iermona ist Projektkoordinator für Dedalus Neapel. In der langjährigen Kooperation wurde beispielsweise 2016/2017 der Fachkräfteaustausch "Young migrants on the move" durchgeführt. 

Die Geschichtswerkstatt in Minsk existiert seit 2002 als gemeinsames belarussisch-deutsches Projekt. Die pädagogische Arbeit folgt dem Grundansatz „Erinnern, lernen und forschen am historischen Ort.

von Darja Kosjakova

Die Geschichtswerkstatt in Minsk existiert seit 2002 als gemeinsames belarussisch-deutsches Projekt. Die pädagogische Arbeit folgt dem Grundansatz „Erinnern, lernen und forschen am historischen Ort“

Junge Menschen sind der aktivste Teil der belarussischen Gesellschaft, der durch Erforschung der Vergangenheit am Aufbau einer würdigen Zukunft mitwirkt, um die Bildung einer kollektiven und individuellen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg zu fördern, Wege des gegenseitigen Verständnisses zu finden und durch das Studium komplexer Fragen der Geschichte Widersprüche zu überwinden. Zu diesem Zweck organisiert die Geschichtswerkstatt Seminare, Bildungsexkursionen und generationsübergreifende Begegnungen. Sie veröffentlicht Bildungsmaterialien, arbeitet im Bereich der Oral History und fördert die Beteiligung junger Menschen aus Belarus an verschiedenen internationalen Bildungsprogrammen.

2017/2018 nahmen Jugendliche aus Belarus an der dreiteiligen und trilateralen Seminarreihe „Erinnerungskulturen an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust: Polen, Belarus, Deutschland“ gemeinsam mit dem BJR teil. Es wurden Gedenkstätten in Auschwitz, Maly Trostenets und Dachau besucht, um die Besonderheiten der nationalen Narrative kennenzulernen und gemeinsam nach Antworten auf Fragen zu suchen, die junge Menschen auf dem Gebiet der Erinnerung an eine gemeinsame tragische Vergangenheit betreffen. In einem weiteren Projekt untersuchten Jugendliche und junge Spezialist_innen aus Belarus, Deutschland, Polen, der Ukraine und Russland in zwei internationalen Seminaren in Minsk Fragestellungen zu Formen digitaler Erinnerung. Daraufhin wurde beschlossen, ein gemeinsames Konzept im Internet zu entwickeln, um Erinnerungskonflikte des Zweiten Weltkriegs aufzuzeigen und zu überwinden.

Erfahrungen transnationaler Jugendgruppen sind wichtig für den Aufbau eines internationalen Dialogs, ebenso für die Einbeziehung belarussischer Jugendlicher in die europäischen Integrationsprozesse, um den Herausforderungen der modernen Gesellschaft gerecht zu werden.

Darja Kosjakova ist Lehrerin betreut als Teamerin ehrenamtlich die Geschichtswerkstatt. Durch Vermittlung des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks (IBB) Dortmund entstand 2017 diese Kooperation

Karin Fleissner
Referentin Öffentlichkeitsarbeit für Projekte